Seit Jahren schon ist der Erste Athener Friedhof eine geheime Leidenschaft von mir. Geheim, weil er, nun ja, ein wenig morbid ist. Leidenschaft, weil er so schaurig schön ist und etwas einschüchternd, wegen all der Geschichte und Kunst, die hier vereinigt sind. Ich sitze auf einer Bank und schaue den Katzen zu, die sich in einem Flecken Sonnelicht auf der letzten Ruhestätte meines Vaters und meiner Großeltern räkeln. Es ist ein windiger Frühsommertag, und die Zweige der Zypressen, die die Anlagen säumen, singen den Toten ein Wiegenlied. Marmordenkmäler markieren die Gräber, soweit das Auge sehen kann.
Der Erste Friedhof wurde 1837 angelegt, nur wenige Jahre nach der Befreiung Athens von den Osmanen, als die Bestattungen neben den Kirchen im Stadtzentrum offiziell verboten wurden. Jede Gemeinde musste ihren eigenen Friedhof mindestens 100 Meter vor der Stadt anlegen, was damals vielleicht weit draußen wirkte, heute aber längst in das Stadtgefüge integriert ist. Der Teil des Friedhofs, der der Stadt zugewandt war, wurde in der Regel mit Bäumen bepflanzt. Die Lage der Lüftung halber auf einem Hügel war ein Pluspunkt.
Die Anapafseos-Straße, was auf Griechisch Straße der letzten Ruhe bedeutet, führt zum Tor des Friedhofs. Sie war eine der wenigen Straßen, die schon zu jener Zeit jenseits der Mauern der Stadt bestanden, welche offiziell am Hadriansbogen, dem antiken Tor zu Athen, endete, und sie führte von dort zum Begräbnisplatz.
Im Zuge der Erweiterungen des Ersten Friedhofs entstanden Abteilungen für die Katholiken und die Protestanten. Auch eine jüdische Abeilung, die aber nicht mehr genutzt wird. Der Gottesacker wuchs auf 225.000 Quadratmeter an und enthält mehr als 12.000 Gräber. Klassizistische Grabmale, klassische trauernde Engel, Tempelchen, Sarkophage, Urnen, Büsten, sitzende und stehende Skulpturen, geschmückte Kreuze, Monumente – dieses Freilichtmuseum bietet alles, bei freiem Eintritt.
Der Marmor kam fast ausschließlich vom Penteli-Berg nördlich von Athen, und die Steinmetze stammten ursprünglich von der Insel Tinos, die für ihre Marmorbildhauerei berühmt ist. Die anonymen Schöpfer kunstvoller Kreuze und in Stein gehauener Grabinschriften wurden niemals verzeichnet. Diese Handwerker starben mit ihrer Kunst, bis die Bestattungen der oberen Zehntausend der Athener Gesellschaft begannen. Die „Schlafende“ von Giannoulis Chapelas (dem berühmtesten Bildhauer von Tinos) ist das bekannteste künstlerische Wahrzeichen hier und liegt am Platz nahe der Kirche St. Theodoros. Aber es gibt noch sehr viel mehr zu sehen.
Die Ruhmeshalle beginnt gleich hinter der Kirche auf der linken Seite. Erst kommen die Gräber von Kirchenfürsten, dann der Philanthrop Georgios Averoff, die Schauspielerin und Politikerin Melina Mercouri mit ihrem Ehemann, dem Filmregisseur Jules Dassin, der Archäologe Heinrich Schliemann, der frühere Ministerpräsident Andreas Papandreou, die Reederfamilie Goulandris, die Schauspielerin Aliki Vougiouklaki, der Schriftsteller T.H. White, der Missionar Jonas King, der Architekt Ernst Ziller, die Lyriker Odysseas Elytis und Giorgos Seferis, der Musiker Vassilis Tsitsanis... die Liste ist schier endlos.
Aber es ist nicht wichtig, wer in den Gräbern liegt, wer ihre Grabsteine gemeißelt hat. Ich erkenne einige Namen wieder, kenne aber kaum die Geschichten dahinter. Sie müssen das alles nicht wissen, um die Energie, den Frieden, die Geschichte zu spüren. Spazieren Sie durch die Wege der Anlage, nehmen Sie die Kunst in sich auf, und wenn Sie mehr erfahren wollen, dann besorgen Sie sich den englischsprachigen Führer „The First Cemetery of Athens; A Guide to its Monuments and History“ – das umfassende Verzeichnis eines Ortes, in dem man sich leicht verlaufen kann. Ich kann mir keinen faszinierenderen Ort vorstellen, um einen Athener Nachmittag zu vertun.
*„The First Cemetery of Athens. A Guide to its Monuments and History“ von Maro Kardamitsi-Adami und Maria Daniil, Englisch von Deborah Kazazis. Olkos Verlag.