Es ist 8.30 Uhr. Wir stehen im Garten vor der stattlichen Zappeion-Kongresshalle (meine Neunjährige findet, sie sieht aus wie ein „zitronengelber Mini-Parthenon“). Tonias Kommentare geben den Ton an, während wir uns zu einer fesselnden, zweistündigen Tollerei aufmachen, die aus zwei Teilen Fitness und einem Teil Geschichtsunterricht besteht. Sicherlich gleicht sie keiner Führung, an der ich bisher teilgenommen habe. Das Ziel? Unsere Körper und unseren Verstand so zu polen, dass wir die Essenz der olympischen Philosophie an uns selbst erfahren – und Spaß dabei haben.
Tonia fängt mit den Kindern eine kurze Diskussion darüber an, was die bestimmenden Werte der Olympischen Spiele sein könnten (wir einigen uns auf Frieden, Fairness und Universalität). Dann geht’s los mit ein paar Aufwärmrunden rund um den Springbrunnen der Anlage, zusammen mit den anderen acht Teilnehmern der Tour, und mit Lockerungsübungen auf den Stufen der Zappeion-Halle aus dem 19. Jahrhundert.
Dieses klassizistische Wahrzeichen wurde von Evangelis Zappas (der leider nicht lange genug lebte, um die Fertigstellung zu erleben) der Stadt gestiftet, und es wurde dezidiert im Zusammenhang mit der Wiederbelebung der Olympischen Spiele 1896 gebaut – fünfzehn Jahrhunderte nachdem sie zuletzt im antiken Olympia stattfanden. Tonia verrät uns das ziemlich grausige Erbe, das Evangelis Zappas im Atrium des Zappeion hinterlassen hat. Ich werde Ihnen die Überraschung nicht verderben, es genügt zu sagen, dass es die Lieblingsinfo meines Kindes an diesem Tag war.
Nackte Ambitionen
Nach einem kurzen Gang durch den Park kommen wir zu einer Turnhalle und Sportanlage aus dem 19. Jahrhundert, dem Fokianos-Sportpark, gegenüber dem Panathenäischen Stadion. Dieser großartige städtische Geheimtipp umfasst eine Laufbahn, Basketball- und Volleyballplätze und einen Mini-Fußballplatz, die gratis benutzt werden dürfen (verschiedene Mannschaften bieten auch Trainingsstunden für Erwachsene und Kinder gegen Bezahlung). In dem schattigen Café in einer Ecke trinken Sportler und Schüler Smoothies und Kaffee. Eine lebhafte Mannschaft älterer Herren spielt ein flinkes Basketballspiel. „Die sind hier jeden Tag des Jahres“, erzählt uns Tonia.
Wir lernen etwas über Ioannis Fokianos, einer treibenden Kraft hinter der Wiederbelebung der Olympischen Spiele. Er war studierter Physiker und Mathematiker und trainierte an eben diesem Ort Sportler für die erste moderne Olympiade.
„Im antiken Griechenland trainierten Sportler und auch Krieger in Sportanlagen wie diesen, die Gymnasien genannt wurden“, sagt Tonia. „Das kommt vom griechischen Wort gymnos, was nackt bedeutet – weil die Athleten alle nackt waren. Frauen waren aber zum Sport nicht zugelassen.“
Auf meine beiden Töchter macht das keinen Eindruck. Aber es ist das Stichwort für uns, körperlich aktiv zu werden. Tonia nimmt mit uns einige Techniken klassischer olympischer Sportarten durch. Wir nehmen einen echten Wurfspeer in die Hand, um sein Gewicht zu prüfen. Ich erwarte, dass er schwer wie eine Turnierlanze ist, aber er ist eher wie eine riesige Stricknadel – und wirklich schwer waagerecht zu halten. Als es ans richtige Werfen geht, werden wir zu Schaumstofflanzen degradiert (man stelle sich sonst die Gesundheits- und Sicherheitsprobleme vor).
Dann ist der Diskus dran.
„Wirft man ihn wie einen Frisbee?“ fragt meine Neunjährige, als sie an die Reihe kommt. Lachend zeigt Tonia ihr geduldig, wie man ihn richtig hält, was sich wiederum sehr komisch anfühlt, weil man den Daumen nicht gebrauchen darf.
Zuletzt versuchen wir uns im Kugelstoßen.
„Gut gemacht, Mama“, ruft meine Zwölfjährige aus.
Ich bin selbst überrascht, die schwerste Vier-Kilo-Kugel weiter gestoßen zu haben als mancher Mann in unserer Gruppe. Ätsch, Gründerväter.
Olympischer Ruhm
Jetzt stehen wir auf der anderen Straßenseite im einzigen ganz aus Marmor gebauten Stadion der Welt und stellen uns das Gebrüll jahrtausendealter Menschenmassen vor (und greifen nach unseren Sonnenbrillen). Tonia erzählt uns, dass in der Antike in diesem Stadion Wettkämpfe wie im Kolosseum in Rom stattfanden.
„Gab es da auch Löwen?“, fragt meine Jüngste. Tonia lächelt. „Da waren keine Löwen. Oder Christen.“
„Bei den antiken Olympischen Spielen gab es auch keine Preise oder Medaillen“, fährt sie fort. „Es ging um die Ehre des Sieges. Der Sieger wurde mit einem Kranz oder Kotinos aus wilden Olivenzweigen aus Olympia bekrönt; daheim wurde er empfangen wie ein heimkehrender General, um zu zeigen, dass der Olympiasieger stark genug war, die Stadt zu verteidigen.“
Tonia verbindet die Punkte zwischen der ursprünglichen Arena, die erstmals 566 v. Chr. für die Panathenäischen Festspiele verwendet wurde, über die prachtvollere Wettkampfstätte, die Herodes Atticus hier in Marmor bauen ließ, bis zum atemberaubenden heutigen Nachbau mit 60.000 Plätzen, den der griechische Wohltäter Georgios Averoff restaurieren ließ und der für den Neustart der modernen Olympischen Spiele verwendet wurde.
Es ist der perfekte Ort, um etwas über den heroischen Ursprung des Athener Marathonlaufs zu erfahren: Jedes Jahr endet der weltbekannte Wettlauf dort, wo wir stehen. (Spolierwarnung: Es war ein Botenläufer, Pheidippides, der erstmals 490 v. Chr. die 42 Kilometer von Marathon nach Athen rannte, um die Nachricht vom Sieg der Stadt über das persische Heer zu melden.)
Bald darauf ist es Zeit für unser Endspiel: die Gelegenheit, diese legendäre Bahn selbst entlang zu laufen und für ein Erinnerungsfoto auf dem Siegertreppchen zu posieren.
„Als Sportlerin habe ich es Menschen an den Augen ablesen können, wie wichtig die olympischen Werte sind“, sagt Tonia. „Und als Griechin will ich das mit den Gästen des Landes teilen.“
Top-tipp:
Sparen Sie Energie für den Aufstieg über die steilen Stufen des Stadions, ehe Sie gehen. Ein wahrhaft olympischer Blick auf die Akropolis und die Stadt werden Sie belohnen.
Wie lautet das Urteil?
Ich hätte gerne mehr über die Geschichte rund um die Spiele gehört: Etwa, dass Platon ein Liebhaber des Ringens war oder über die Tradition des olympischen Fackellaufs. Aber es war umwerfend mit anzusehen, wie sich meine Töchter in diese neuartige Lernerfahrung eingebracht haben, die perfekt zu Familien und aktiven Typen passt.
- Dauer: 2 Stunden
- Preis: 55 € (die 5 € Eintrittspreis für das Stadion sind nicht enthalten)
- Zeit: 8.30 Uhr Montag-Sonntag.