Athen entwickelt sich zu einer der dynamischsten Skaterstädte weltweit. Skateboarder sind die treibende Kraft hinter der kreativen Wiedergeburt, die in der Hauptstadt im Aufkommen ist. Die DIY-Einstellung der Skater hat ihnen dabei geholfen, Chancen zu ergreifen, sich von dem wirtschaftlichen Zusammenbruch inspirieren zu lassen und die günstigen Grundstückspreise oder leer stehenden Räume auszunutzen.
Da ist zum Beispiel Latraac, eine experimentelle soziale Begegnungsstätte, die von einem griechischen Architekten und Skater, Zachos Verfis, errichtet wurde. Im schäbigen Viertel Keramikos befindet sich, versteckt hinter Eisengittern, einer kleinen Café-Bar und einigen Bäumen, die den nötigen Schatten spenden, ein lasergeschnittener Skatebowl. Latraac ist sich sehr schnell zu einem Mekka für Skater jeder Couleur, aber auch für ausländische Künstler, Musiker und Expats geworden. In Griechenland, aber auch anderswo gibt es nichts Vergleichbares. Hier trifft man auf Avant-Garde-Tanz, abgefahrene Musiknächte oder Bowl-Wettbewerbe unter der Kerngruppe der Skater.
An diesem sonnigen Sonntagnachmittag sind die schwitzenden Mittzwanziger, die sich normalerweise hier aufhalten, einem jüngeren Publikum gewichen: mit bunten Bodypaint-Farben bedeckt, spielen Kinder zaghaft mit Skateboards, während die enormen Rampen sich über ihnen erheben. Heute ist das Latraac überrannt vom Free Movement Skateboarding (FMS), einer in Athen ansässigen NGO, die das Skateboarden zur Förderung der sozialen Integration für junge Griechen und Flüchtlinge nutzt. Die Gründer Will Ascott und Ruby Mateja aus dem Vereinigten Königreich erkannten, dass junge Leute in Flüchtlingslagern und besetzten Gebäuden kaum körperliche Betätigung und Umgang mit anderen Kindern außerhalb der Flüchtlingsgemeinschaft haben. Um dem entgegenzuwirken, konstruierten sie einen mobilen Skatepark, um ihn an Spielplätze und Flüchtlingscamps in der ganzen Stadt zu transportieren. Die beiden unterrichten etwa 150 Kinder wöchentlich – ungefähr die Hälfte davon sind Mädchen.
“Skateboarden ist ein wirksames Mittel, um auf natürlichem Weg Integration zu fördern und einen Gemeinschaftssinn zu schaffen", erklärt Ruby. „Wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen raus aus den Lagern kommen und sich mit den griechischen Kids austauschen, die ebenfalls mehr Möglichkeiten zum Spielen und kreativ sein brauchen. FMS hat vor Kurzem mit dem deutschen Endboss Projects zusammengearbeitet und den ersten angelegten Skatepark für Flüchtlinge in Europa errichtet. Die griechische Künstlerin Maria Papadimitriou hat ihre Souzy Tros Art Canteen bereitgestellt, einen Ort mit künstlerischen Angeboten, Essen und Events, nur eine Gehminute vom Flüchtlingslager Eleonas entfernt. Der speziell entwickelte Park bietet eine abgeschirmte, umzäunte Fläche, wo sowohl sportliche als auch künstlerische Aktivitäten unterrichtet werden, insbesondere für junge Frauen, die sich oft nicht trauen, an solchen Aktionen teilzunehmen. FMS hat die Skateboards und die Sicherheitsausrüstung gespendet, und man hofft, dass Souzy Tros einen neuen sozialen Treffpunkt für junge Leute aus der ganzen Stadt schaffen wird.
Skater treffen sich fast immer außerhalb des Color Skates in Psirri. Dieser Laden befindet sich in der Protogenous-Straße, zusammen mit einer Vintage-Boutique, einem Musikgeschäft und Bars, wo die Skater, Punks und Hipsters sich an Sommerabenden versammeln. Der Gründer Vassilis Aramvoglou sitzt auf einem Sofa außerhalb des Ladens und bespricht sich mit einer Gruppe von Teamridern, während er eine Liste von angesagten Straßenplätzen auf einer abgewetzten Ausgabe des Thrasher-Magazins kritzelt. Color wurde im Juni 2008 gegründet, im Vorfeld der griechischen Finanzkrise. Color verhalf der Skaterszene zu ihrer Wiederauferstehung, indem der Laden landesweit eine Reihe von wilden Events, Partys und Wettbewerben veranstaltete und sich energisch für die Errichtung von öffentlichen Skateplazas einsetzte. Zu einem Zeitpunkt, als die Arbeit in der kreativen Industrie beinahe am Nullpunkt angekommen war, gab die Hardware- und Kleidermarke von Color, Goodbie Skateboards, griechischen Künstlern den Auftrag, Boards und T-Shirts für sie zu designen und warf ihnen damit eine Rettungsleine zu. Heute ist Color das erfolgreichste Skaterteam in Griechenland – und wohl auch das wildeste.
“Diese Leute kennen die Stadt besser als jeder andere“, sagt Vassilis. Sobald das Team losfährt, hallt das Donnern des Polyurethans auf Tarmac in den engen Gassen von Psirri, die noch aus der Zeit des osmanischen Reichs stammen. Die Skater ziehen hinaus in die Athinas-Straße und tragen dazu bei, den Trubel auf der Straße noch einen Tick hektischer zu gestalten. Einer nach dem anderen flippen sie über Gitterrost auf dem Kotzia-Platz neben den antiken Athener Befestigungsanlagen, um gleich danach die in eine Fußgängerzone umgewandelte Aiolou-Straße entlangzufahren, während sie sich durch die verwunderten Einkäufer hindurch schlängeln. Weiter geht es durch die Lekka-Straße, vorbei am Ministry of Concrete – einem anderen Skaterladen mit seinem eigenen Team – bevor sie am Syntagma-Platz auftauchen. Die Skater vollführen Grinds auf einem eisernen Vorsprung, um sich anschließend auf die marmornen Stufen unterhalb des griechischen Parlaments auszuruhen, während Manos Kyriakousis einen riesigen Luftsprung über ihren Köpfen vollbringt.
Tolle Skate-Spots gibt es zuhauf in Athen, aber der beste Streetstyle-Park ist nur eine Metro-Fahrt entfernt, im Olympia-Sportkomplex OAKA (Bitte beachten Sie, dass das Hauptstadion und die Radrennbahn des Olympia-Sportkomplexes von Athen auf unbestimmte Zeit geschlossen sind, da umfangreiche Wartungsarbeiten am Stadion geplant sind.) Von der Station Eirini der Linie 1 kann man unter dem legendären Bogengang des von Santiago Calatrava konstruierten Stadions bis zum Skate- und BMX-Park fahren.
Von hier ist es nicht weit zum Galatsi DIY im Veikou Park, der sich auch eines Freiluftkinos und –theaters rühmt. Der weitläufige Betonpark hat etwas von der sanften Atmosphäre von Venice Beach in Los Angeles. Die gleißende Sonne erinnert ebenfalls daran, dass das Klima in Athen mit dem von Südkalifornien – dem Mutterland des Skateboardings – durchaus mithalten kann.
Während amerikanische Profis wie Curren Caples vorbeikommen, um zu checken, was angesagt ist, erkennen Besucher wie Einheimische den wachsenden Einfluss der Skateboard-Szene auf die Athener Kultur und Architektur. Obwohl die Finanzkrise viele Bereiche ausgelaugt hat, fungieren die Skateboarder seit Langem als Avantgarde für die Wiederbelebung der autonomen, selbstverantwortlichen Bürgerinitiativen unter der Athener Bevölkerung, denn im Gegensatz zu so vielen anderen haben sie in diesem riesigen, sonnengebleichten Betonspielplatz niemals die Hoffnung verloren.