Kolonaki: Pest, Poeten und Parvenüs
Ich kenne Kolonaki nur in seiner heutigen Form als Viertel der Designerläden und Galerien, also ist es faszinierend, von den bescheidenen Anfängen des Gebiets als eines Ortes von Aberglauben und Schäferidyll zu hören. Die Karriere von Kolonaki als gehobenen Quartiers begann erst in den 1830er Jahren, als der frisch gekrönte König Otto den Standort für sein Schloss (das heutige Parlament) bekannt gab. Reiche Auslandsgriechen, die ins Land strömten, nachdem es sich die Unabhängigkeit von den Osmanen erkämpft hatte, kletterten hier hinauf, um ihre klassizistischen Bürgerhäuser nahe den gekrönten Häuptern zu bauen.
„Sie waren verzweifelt bemüht, etwas Antikes zu finden, um ihrem neuen Viertel einen Glorienschein zu verpassen“, erzählt uns Zoe am Kolonaki-Platz. „Aber alles, was sie fanden, war diese kleine Säule, wo sie in heidnischen Zeiten Tiere opferten, um Seuchen fernzuhalten.“ Dass eine derart grandiose Gegend nach dieser bescheidenen verwitterten Säule benannt ist, entbehrt nicht einer amüsanten Ironie.
Wir ziehen weiter hügelan und suchen unter Pappeln und Platanen den stillen Dexameni-Platz auf, wo ein Reservoir, das Kaiser Hadrian für die stets ausgedörrte Stadt bauen ließ, über das intellektuelle Herz von Kolonaki wacht. Das Café von Dexameni war seit dem frühen 20. Jahrhundert eine Bastion der Athener Literaten. Hier wurde in twitterlosen Zeiten die öffentliche Meinung durch Athener Influencer wie Odysseas Elytis geprägt, einen Bewohner von Kolonaki, der 1979 mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde. Silberhaarige Männer sitzen noch stets auf dem Bürgersteig und besprechen das Tagesgeschehen. Die Cafés werden deutlich glamouröser in der Tsakalof-Fußgängerzone. Wir sind im Herzland der Athener Café-Gesellschaft und High Society. „Griechen trinken ihren Kaffee am liebsten im Freien“, bemerkt Zoe. „Das liegt nicht nur am Wetter; wir schauen gerne Leuten zu und klatschen.“
Exarchia: Rebellen und Street-Art-Künstler
Exarchia: In dieser Brutstätte von Radikalen und Freidenkern pulsiert das Leben. Exarchia ist ein Schmelztiegel von Studenten, Immigranten, griechischen Mittelstandsfamilien, Street-Art-Künstlern, Straßenhunden – und zunehmend auch neugierigen Touristen, die die ausgetretenen Pfade verlassen wollen. Sogar an diesem strahlenden Morgen wirkt der Exarchia-Platz ein wenig heruntergekommen. Aber die davon abgehenden Straßen atmen die Atmosphäre der Boheme.
Zwischen Propagandaplakaten mache ich vegane Souvlaki-Buden und spanische Bistros, unabhängige Buchhandlungen und Vinylplattenläden aus. Die Gegend strotzt vor sozialen Unternehmen wie der von einem aktiven Kollektiv betriebenen Bar in einem leerstehenden Kino, die zur Finanzierung einer kostenfreien Klinik für Bewohner und Flüchtlinge beiträgt. Überall sieht man Hinweise auf den Solidaritäts- und Gemeinschaftsgeist von Exarchia. Wie das bewegende Wandbild eines schlafenden Obdachlosen von WD (einem balinesischen Street-Art-Künstler, der heute in Athen lebt). Oder den winzigen Park, der eigentlich bebaut werden sollte, ehe Aktivisten ihn über Nacht in eine dringend benötigte Grünfläche umwandelten. „Die Leute in Exarchia legen nicht einfach die Hände in den Schoß“, sagt Zoe.
Panepistimio: Passagen, Musen und Gelehrte
In scharfem Kontrast zum lockeren Exarchia geht es im Gebiet um den U-Bahnhof „Panepistimio“ um Prachtbauten und Machtstrukturen. Die zentrale Bühne auf der Panepistimiou-Straße ist die klassizistische Athener Trilogie – Akademie, Universität und Nationalbibliothek. „Schauen Sie sich das Wandbild auf der Universität genauer an“, fordert Zoe uns auf. Auf der majestätischen Fassade sind die neun Musen in Szenen aus der griechischen Mythologie und Geschichte dargestellt. Wir lachen, als sie uns König Otto als Gottheit verkleidet zeigt.
Dann führt sie uns in eine typisch athenische Institution: das Netzwerk historischer Ladenpassagen, das als praktische Abkürzungen das Zentrum durchzieht. Wie gehen in die Arsakion-Passage, wo früher viele Buchläden und Literatentreffs waren. „Spüren Sie, wie viel stiller es hier ist?“, fragt Zoe. Es stimmt. Wieder draußen führt uns der Spaziergang zum Kotzia-Platz, den sich der Athener Bürgermeister mit einem Abschnitt einer antiken Athener Ausfallstraßen und einer Mauer aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. teilt. Ich komme aus Australien, wo kaum ein Bauwerk älter als 100 Jahre ist, und so liebe ich das Schockerlebnis, wenn ich sehe, wie Überreste aus der Antike nahtlos in den Großstadtalltag des heutigen Athen integriert sind. Besonders surreal wird es, als Zoe uns in ein großes Modekaufhaus führt. Irritiert folgen wir ihr ins Untergeschoss, wo einige bemerkenswerte römische Ruinen zwischen preisreduzierter Herrenkleidung zu sehen sind. Wer hätte das gedacht?
Psiri: Coole Kunden und Kreative
Die Mauern werden jetzt bunter und die Leute auf den Straßen jünger. Wie Exarchia ist Psiri ein früheres Kleine-Leute-Viertel, das aufregend im Fluss ist. Dieses Altstadtviertel der Lederhändler, Rembetiko-Musiker und Werkstätten wurde einst von einer lokalen Mafia kontrolliert – „den schnurrbärtigen Koutsavakides“ – bis die Polizei ihnen in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts das Handwerk legte. In den letzten Jahren hat Psiri sich zu einer angesagten Gegend voller Kreativbier-Bars, Antiquitätenläden und Designstudios gemausert. Die Protogenous-Straße wird von einer hippen, studentischen Menge bevölkert, auf der Suche nach Schätzen in Secondhandläden wie dem Guadeloupe oder Designfundgruben wie dem The Real Intellectuals (der Fortentwicklung eines Geschäfts für Motorradzubehör). Künstlertypen frischen ihren Koffeinspiegel im Barrett auf, einem glamourös-schäbigen Café und Ausstellungsraum. Außerhalb der Bierzeit teilen sich zwei orthodoxe Priester im Ornat ihre Pause unter einem riesigen Wandbild, was wie die perfekte Metapher für dieses bunt gemischte Viertel wirkt.
Monastiraki: Schnäppchenjäger und Geschichtsliebhaber
Der Flohmarkt von Monastiraki. Ich bin dutzende Male durch dieses Gewusel aus Lärm und Tinnef aus Massenproduktion gelaufen, ohne zu wissen, dass ich in eine Seitenstraße in den wunderbaren Geheimtipp TAF (The Art Foundation) hätte ausweichen können. Einheimische sitzen hier im zentralen Innenhof und genießen ein frühes Mittagessen oder ein Glas Wein. Über ihnen wird in einer Reihe kaninchenstallartiger Räume moderne Kunst gezeigt. Es ist schwer auszumalen, dass in diesem Wohnhaus aus dem späten 19. Jahrhundert zwölf Familien gelebt haben. 2007 wurde es von einem Kunsthändler zur modischen Bar, Café und Galerie umgewidmet. Wenn Sie genauer hinsehen, sehen Sie noch das Ziegenhaar, das für die Dämmung der Wände verwendet wurde. „In Athen findet man oft das Monumentale neben dem Bescheidenen“, sagt Zoe.
Wie lautet das Urteil?
Diese Führung hinterlässt ein ganzheitliches und einfühlsames Verständnis für die Kräfte, die das heutige Athen in den letzten beiden Jahrhunderten geformt haben. Dank dem begeisterten Kommentar von Zoe habe ich Lust bekommen, eine reihe aufregender Quartiere zu erkunden, die ich bislang nicht auf dem Radar hatte.
- Dauer: 4 Stunden
- Preis: 49 € (Kaffee im Preis nicht enthalten)
- Zeit: 9.30 Uhr Montags-Sonntags