Im Schatten des Hymettos-Berges liegt das Vorres-Museum, das zum einen ein ethnographisches Museum und zum anderen eine Avantgardegalerie ist und sich für eine Flucht aus der Kakophonie der Stadt anbietet. In seinen von Bäumen gesäumten Mauern hört man nichts als Vogelgezwitscher und Kirchengeläut. Dieser lebhafte Flickenteppich der Geschichte, wo Kunst- und Alltagsgegenstände aus zweieinhalb Jahrtausenden griechischer Geschichte einträchtig nebeneinander bestehen, ist zugleich ein Monument der Vision eines einzelnen Menschen.
Der Samen zu diesem vielseitigen Museum wurde gesät, als Ion Vorres, der Spross einer wohlhabenden griechischen Familie, nach Kanada ging, um dort Philosophie, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie zu studieren. Er wurde Journalist und der inoffizielle Kulturbotschafter seiner Heimat.1964 kehrte Vorres nach Griechenland zurück, und was er dort antraf, schockierte ihn.
Nach dem Zweiten Weltkrieg durchlief Griechenland eine extrem schnelle Verstädterung. Millionen ließen das traditionelle Landleben auf ihren Inseln und in ihren Dörfern zurück und strömten nach Athen. Um diesen Zustrom rasch bewältigen zu können, wurden die meisten klassizistischen Häuser der Stadt abgerissen und durch eilig hochgezogene Etagenwohnhäuser – die Polykatoikies – ersetzt, die die Stadt bis heute prägen.
„Das Museum war das Ergebnis des ästhetischen Schocks, den [mein Großvater] bei seiner Rückkehr erlebte“, erklärt Nektarios Vorres, der derzeitige Direktor der Vorres-Stiftung. „Er war entgeistert, als er Wohnungen voller schwedischer Möbel und persischer Teppiche sah. Also beschloss er, für sich selbst eine ausschließlich griechische Umgebung zu gestalten, die ihn an das Land erinnerte, das er vor Jahren verlassen hatte.“
Vorres schwor sich, so viel wie möglich von dem kulturellen Reichtum dieser untergehenden Welt zu bewahren. Im Dorf Päania (inzwischen ein Athener Vorort nahe dem Flughafen) fand er zwei heruntergekommene Häuser und einen Stall aus dem 19. Jahrhundert und beauftragte Handwerker damit, die Bauten zu renovieren und miteinander zu verbinden, um einen 2,4 Hektar großen Komplex zu schaffen.
„Die Leute standen Schlange, um dem Verrückten zu verkaufen, was sie auf Lager hatten“
In einer Zeit, als sich jedermann kopfüber in die Zukunft stürzte und sich niemand um die Vergangenheit kümmerte, begann Vorres Alltagsgegenstände zu sammeln: Mühlsteine, Werkzeug, Ikonen, Statuen, Keramiken, Dachluken und Glas – sogar einen Ankerstein, den die altgriechischen Kriegsschiffe in der Schlacht von Salamis 480 v. Chr. verwendet hatten und den die Küstendorfbewohner in Unkenntnis des ursprünglichen Zwecks benutzten, um ihre Esel anzubinden.
„Die Leute standen Schlange, um dem ‚Verrückten’ zu verkaufen, was sie auf Lager hatten“; erzählt Nektarios. „Sie waren mehr als froh, den ‚alten Krempel’ loszuwerden … Abgesehen von Antiken war alles andere entweder nützlich – oder nutzlos.“
Insgesamt sammelte Vorres rund 6.000 Stücke. Er präsentierte diese volkskundlichen Objekte auf neue Weise, wobei ein alter Mühlstein zum Beistelltischchen und ein steinerner Wassertrog zur Vase wurde, und indem er den seilgekerbten Aufsatz eines Ziehbrunnens auf die Seite kippte, um in seinem mediterranen Garten eine Skulptur zu schaffen. Dadurch, dass er diese Alltagsgegenstände in Kunstwerke verwandelte, ermunterte Vorres die Menschen, ihren Wert neu zu bestimmen.
Vorres stiftete sein Haus dem Staat, der es 1983 zum Museum machte. Selbst nach seinem Tod im Jahr 2015 spürt man die Intimität: ein Ort zum Wohnen und Ausdruck des individuellen Geschmacks eines Einzelnen. In den merkwürdigen Gegensatzpaaren bekommt man ein Gefühl dafür, die der Mensch selbst gewesen sein mag.
Trotz seines Engagements zur Bewahrung kulturellen Erbes war Vorres kein rückwärtsgewandter Traditionalist. In den Siebzigerjahren wandte er seine Aufmerksamkeit der zeitgenössischen griechischen Kunst zu und trug als eifriger Sammler und Mäzen zur Schaffung eines Marktes für gewagte Kunstschöpfungen bei. In jener Zeit hatte die Athener Nationalpinakothek keine modernen Arbeiten in ihren Beständen, und so begann Vorres mit dem Aufbau einer beispiellosen Sammlung von Gemälden, Installationen und Skulpturen, die aufkommende Strömungen im Surrealismus, dem abstrakten Expressionismus, dem Minimalismus und anderen Richtungen aufgriff.
Der neue, in den späten Siebzigerjahren von Michalis Fotiadis gebaute Flügel (demselben Architekten, der später zusammen mit Bernard Tschumi das Akropolismuseum entworfen hat), enthält Arbeiten nahezu aller wichtigen Vertreter der griechischen Kunst des 20. Jahrhunderts.
Der neueste, 2004 gebaute Flügel des Hauses, zeigt die jüngsten Werke und dient zugleich als Veranstaltungsraum und als Aktivitätszone für Schulkinder, die das Museum allmorgendlich besuchen.
Vorres wollte einen Ort schaffen, zu dem die Griechen stets kommen konnten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wer sie sind. Heute gehört das Vorres-Museum auch weiter dem griechischen Volk. Aber die Vorres-Stiftung bemüht sich unter der Leitung von Nektarios nicht mehr, mit der zeitgenössischen griechischen Kunst Schritt zu halten. Stattdessen bleibt er der Vision seines Großvaters treu und versucht, diese Fundgrube griechischer Identität und Kultur zu bewahren.
Der Ausflug zum Vorres-Museum gleicht einer Pilgerfahrt (vor allem, wenn man die öffentlichen Verkehrsmittel nimmt). Aber Ihre Mühen werden Ihnen vielfach abgegolten werden. Wer weiß schon, was Sie in der realen Welt draußen groß verpasst haben, wenn Sie diese stille, der Zeit enthobene Zitadelle schließlich verlassen.