Manchmal verstecken sich die bestgehüteten Geheimnisse in praller Sicht. Der Hymettos-Berg (ausgesprochen wird er Ymittós, und oft auch so geschrieben) formt die natürliche Grenze im Osten Athens. Hier lichtet sich plötzlich das dichte Stadtbild und weicht einem bewaldeten, mit Klostern übersäten Hang. Dies ist der ‚Ästhetische Wald Kesariani‘, ein Naturschutzgebiet, nur 15-20 Autominuten vom Stadtzentrum entfernt.
Obwohl ich seit Langem in Athen wohne, war ich mir dieses Juwels jahrelang nicht bewusst. Doch dann passierten zwei Dinge: Ich erwarb einen Hund (Brigitte) und zog in das benachbarte Stadtviertel Pangrati. Brigitte und ich gingen auf Entdeckungsreise und entdeckten glücklicherweise diesen Wald und seine vielen Pfade.
Kloster Kesariani
Während Brigitte betrübt auf dem Beifahrersitz liegt (sie hat Angst vorm Autofahren), fahren wir am Friedhof von Kesariani und unterhalb der Hymettos-Ringstraße vorbei, bevor wir uns in Richtung Wald begeben. Brigittes Laune wechselt augenblicklich von tiefbetrübt zu fröhlich, wie man das nur kleine Kinder und Hunden können. Fußpfade erstrecken sich links und rechts von der Straße; wir wählen den auf der rechten Seite. Der Pfad ist schattig und kühl, sogar in der sommerlichen Hitze, dank des Waldes, der hauptsächlich aus Pinienbäumen und Zypressen besteht. Obwohl der Baumbestand dicht ist, sind die Baumstämme ziemlich dünn; dies ist im Grunde ein junger Wald, das Ergebnis der Bemühungen zu seiner Wiederaufforstung durch die Philodassiki Enosi Athinon (‘Vereinigung der Waldfreunde von Athen’), welche die Hänge neu bepflanzte, nachdem sie während des Zweiten Weltkriegs fast vollständig abgeholzt worden waren.
Nach etwa 10-15 Minuten bergauf, führt uns der Pfad zu einem Olivenhain, der zum aus dem 12. Jahrhundert stammenden byzantinischen Kloster von Kesariani gehört. Brigitte darf die restaurierte Stätte, die jetzt vom archäologischen Dienst geleitet wird, nicht betreten. Aber sie hat sowieso nicht viel Interesse an der Sache und bleibt gerne im Schatten eines Baumes zurück, während ich mich umschaue. Der Eintrittspreis von 2€ lohnt sich, auch wenn der Besuch nur von kurzer Dauer ist (das Kloster ist das ganze Jahr täglich außer montags für Besucher geöffnet, der letzte Einlass ist um 14.30 Uhr). Die blumenübersäte Klosteranlage ist relativ kompakt mit all den Sehenswürdigkeiten, die man in einem byzantinischen Kloster erwartet (uralte Fresken, Mönchszellen, Küchen und einen Speisesaal), aber auch seltenere Objekte, wie etwa das alte gewölbte Badehaus. Mit seinen Räumen für das Heiß-, Lauwarm- und Kaltwasserbad muss das Badehaus im Mittelalter ein Ort des Luxus gewesen sein.
Kesariani ist eine der wenigen verbleibenden mittelalterlichen Stätten in Athen. Seltsamerweise hat man das Gefühl, dass das Leben hier nicht unbedingt eines der Entbehrungen war. Mit reichlich Wasser von der nahegelegenen Quelle kultivierten die Mönche das Land und wurden insbesondere berühmt für ihren Honig. Das Kloster war auch für seine Bibliothek bekannt, die griechische Texte umfasste. Diese Texte zogen Gelehrte aus Europa an, die hierher kamen, um die Texte zu kopieren, was ein Glück war: Viele der Manuskripte endeten während des griechischen Unabhängigkeitskrieges als Füllmaterial für Musketen.
Der botanische Pfad
Vom Kloster aus laufen eine ausgeruhte Brigitte und ich zum nahe gelegenen Taxiarchis-Hügel, wo wir durch die Ruinen einer alten christlichen Basilika laufen und angestrengt versuchen, das knutschende Pärchen unter den Bäumen zu ignorieren. Die beiden haben offensichtlich Besseres zu tun als den wunderbaren Ausblick über das Athener Becken zu genießen, der sich einem hier bietet (und bei Sonnenuntergang besonders imposant ist).
Wegzeichen führen uns zum botanischen Pfad, der am Rande des Klostergeländes beginnt. Brigitte schwelgt im sanften, ebenerdigen Terrain, und ich versuche erfolglos, mir die lateinischen Namen der unterschiedlichen Pflanzenarten auf den hölzernen, von Schulkindern bemalten Etiketten zu merken. Bald erreichen wir die Himmelfahrtskapelle, einen höhlenähnlichen Bau, der im Inneren von Ikonen gesäumt ist (ein steinbepflasterter Weg verbindet die Kapelle ebenfalls mit dem Kloster). Eine örtliche Quelle fließt durch die Stätte und speist einen Teich. Brigitte macht einen Satz auf ihn zu und hat klar die Absicht hineinzuspringen, aber die Anwesenheit von golden und silbrig schimmernden Karpfen scheint sie von ihrem Vorhaben abzubringen.
Nach nicht einmal einer halben Stunde (wir nehmen uns Zeit, um die Umgebung zu genießen) führt uns der botanische Pfad zu einer weiteren Schlucht. Direkt am Fuße des Hügels ist Kalopoula, wo ein sympathischer Erfrischungsstand sich unter die Bäume schmiegt und Kaffee, kaltes Bier und sogar ein paar gekochte Gerichte anbietet. Aber wir beide setzen unseren Spaziergang fort und nehmen an der Weggabelung den Pfad bergauf – ein weiterer schöner Abschnitt, der 20 Minuten später auf eine Straße führt, die den Berg durchkreuzt.
Kloster Asteriou
Unser eigentliches Ziel ist das Kloster Asteriou, wobei ich hoffe, das Laufen auf der Straße zu vermeiden. Glücklicherweise treffe ich genau da, wo der Sandweg in asphaltierte Straße übergeht, auf eine Gruppe freiwilliger Feuerwehrleute. Sie zeigen mir den Weg zu einem kleinen Pfad rechts abseits der Straße, der uns ziemlich genau an unser Ziel führt.
Im Gegensatz zu Kesariani ist das Kloster Asteriou in Betrieb. Das bedeutet, dass man die Anlage morgens und nachmittags besuchen kann. obwohl erwartet wird, dass es sich bei den Besuchern eher um Pilgernde denn um Touristen handelt. Der Eintritt ist frei, aber es wird als freundliche Geste gewertet, wenn man beim Anzünden einer Kerze in der Kapelle eine kleine Spende hinterlässt.
Der Rückweg über einen osmanischen Wachturm
Unterhalb der Straße neben dem Kloster Asteriou, auf der linken Seite, wenn man auf Athen blickt, befindet sich ein kleiner Pfad. Nach etwa 10 Minuten führt er uns zu unserem letzten Besichtigungs-Stopp – einem osmanischen Wachturm. Zumindest sieht er so aus: Es gibt keine Beschilderung oder überhaupt irgendeine Art touristischer Infrastruktur (eine Google-Suche bestätigt später die osmanische Herkunft; ich erfahre, dass der Wachturm ein drittes Stockwerk besaß, das nun zerstört ist). Im Inneren führt eine wackelige Treppe hinauf in den ersten Stock, aber dort hinaufzusteigen wäre extrem leichtsinnig, und ich will mich nicht zum Stadtgespräch machen.
Meiner Ansicht nach ist der Mangel an touristischer Erschließung gerade das Schöne an dieser Route. Trotz der Nähe zu Athen fühlt man, als ob man sich abseits der bekannten Pfade bewegt und auf Erkundung geht (im Gegensatz zu den beschilderten Touristenwegen, die an einem Geschenkeladen enden). Indem man die Stadt als Orientierungsmarke im Visier behält, kann man sich kaum verlaufen – aber es fällt einem leicht, sich in der Natur zu vergessen.
Vom Wachturm mit dem Berg im Rücken, zweigt ein kleiner Pfad nach links ab. Da ich nicht denselben Weg zurücklaufen möchte, schlage ich Brigitte vor, dass wir diesen Pfad nehmen. Es ist ihr egal, denn sie genießt jede Minute auf dem Berg. Es stellt sich heraus, dass wir instinktiv richtig lagen (ok, ich habe auch Google Maps in Satellitenansicht benutzt), denn wir landen wieder bei Kalopoula. Nachdem wir uns mit einem Bier, Wasser und Snacks erfrischt haben, machen wir uns wieder auf den Weg nach unten entlang der Kalopoula-Schlucht auf einem vielbewanderten Pfad, der uns bis zum Auto führt. Brigittes Bemühungen zum Trotz kriege ich sie wieder ins Auto, und zehn Minuten später sind wir daheim.
Athens Strollers ist eine lokale Gemeinschaft von Wander-Enthusiasten, die zu jeder Jahreszeit geführte Wanderungen in englischer Sprache organisieren. Von den Feuchtgebieten in Schinias zu den Höhlen und Marmorbrüchen in Penteli, einem Frühlings-Spaziergang durch die Pistazienhaine von Ägina oder einer Herbstwanderung im Parnitha-Wald werden die Unternehmungen in der Regel jedes zweite Wochenende organisiert, entweder samstags oder sonntags, wobei die Trips mit einem Mittagessen in einer Taverne enden. Die meisten Wanderungen und Spaziergänge sind nur eine kurze Autostrecke von Athen entfernt und meistens gibt es vor Ort einen Parkplatz.