Eine Tradition der Gegenkultur
Trotz der großen Zahl an Durchzüglern, die von Exarchia angezogen werden, bewahrt sich diese Mischung aus Vorkriegsstadthäusern und in die Jahre gekommenen Apartmenthäusern der Nachkriegszeit einen starken Gemeinschafts- und Traditionssinn. In den engen Grenzen des Quartiers findet man Verlage, Buchbindereien, den lebendigsten Wochenmarkt der Stadt, Rembetiko-Tavernen, Punk-Boutiquen, altmodische Kaffeehäuser, Bars, einen selbstverwalteten Park, das Archäologische Nationalmuseum und das reizende Epigraphische Museum. Günstige Mieten sind der Grund für die Beleibtheit des Viertels unter Studenten und Gentrifizierungsgegnern in den Fünfzigern, die in Erinnerungen an ihre eigene aufständische Jugend schwelgen. Am Hang des Lykabettos-Hügels gelegen fungiert Neapoli, der älteste Teil der Athener Neustadt, als Pufferzone zu Kolonaki, das von den Bewohnern von Exarchia als Bastion der Bourgeoisie geschmäht wird. (Vergessen Sie bitte nicht, dass in Exarchia bisweilen spontane Konflikte mit der Polizei ausbrechen und sich Proteste zu Straßenschlachten ausweiten können.)
Die Kallidromiou-Straße
Der Exarchia-Platz mag der Dreh- und Angelpunkt der (oft rebellischen) Aktivitäten im Viertel sein, sein Herz schlägt aber in der Odos Kallidromiou – das spüren Sie, wenn sie sie im Schatten der Maulbeerbäume hinabschlendern. Diese Straße, die steil ansteigt und sich dann wieder senkt, während sie sich an den Nordwesthang des Lykabettos-Hügels schmiegt, wechselt je nach Wochentag und Tageszeit das Gesicht mit der Leichtigkeit eines Menschen, der eine Perücke aufsetzt und wieder abnimmt. Sogar der Name der Straße verdankt sich einer solchen Laune: Offiziell heißt sie Kallidromou, nach dem Berg, der sich über den Thermopylen erhebt, aber die Anwohner haben sich stur auf das Kallidromiou versteift – das Ergebnis eines Druckfehlers. Jedes Athener Stadtviertel hat seinen Bauernmarkt, aber ein Einkauf auf dem Laiki in der Kallidromiou am Samstagvormittag hat Tradition unter Städtern, die mit derselben Leidenschaft um Artischocken feilschen, mit der sie nach ihrem Marktgang bei einem Raki in einem der Straßencafés der Kallidromiou über die feineren Aspekte der Politik streiten.
„Der Schauplatz einer Studentenrevolte im Jahr 1973, die den Sturz der Diktatur in Griechenland mit herbeiführte.“
Nationale Technische Hochschule Athen
Jeden November versammeln sich tausende Griechen auf dem Universitätsgelände, nicht um einen akademischen Festakt zu begehen, sondern um einer Studentenrevolte im Jahr 1973 zu gedenken, die den Sturz der Diktatur in Griechenland mit herbeiführte. Das „Polytechnio“ hat seitdem die griechische Politik und Gesellschaft geprägt. Aber es ist nicht das Gebäude – ein klassizistisches Juwel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts –, das im Mittelpunkt des Gedenkens steht, sondern die kolossale Bronze des abgeschlagenen Kopfes eines jungen Menschen, der anscheinend zu Boden gerollt ist. Selbst wenn man nur wenig oder nichts über diese Ereignisse weiß, kann man nicht umhin, von der bewegenden Skulptur „Zu Ehren der Opfer“ von Memos Makris berührt zu sein. Besucher legen hier das ganze Jahr über Blumen ab, aber am 17. November, dem offiziellen Gedenktag, ist die Bronze mit roten Nelken überhäuft.
Agios Nikolaos Pefkakia
Selbst in den dichtestbebauten Gegenden überrascht Athen oft mit einem üppig grünen Ort. Ein solcher ist auch Agios Nikolaos Pefkakia. Benannt nach dem dichten Piniengrün, das sie umgibt (Pefkakia heißt „kleine Pinien“), birgt diese Kirche aus dem späten 19. Jahrhundert die Reliquien von mehr als einem Dutzend Heiligen. Der Aufstieg von Exarchia aus lohnt sich allein schon wegen der massiven Ikonenwand, die wie in Gold getaucht wirkt. Die Kirche ist wegen ihrer Größe ebenso beeindruckend wie für ihre lebhafte Ausmalung, die jeden Quadratzentimeter des gewölbten Inneren bedeckt – eine Extravaganz, die dank einer Spende des Wohltäters Nikolaos Thon möglich wurde, eines wohlhabenden Landbesitzers, der in dieser Gegend im Baugeschäft aktiv war. Der Zweck war es, den Anwohnern einen Ort für die Andacht zu bieten, damit sie es nicht weit haben, aber diese religiöse Hingabe scheint nicht jedermanns Sache gewesen zu sein. Außer Agios Nikolaos Pefkakia gibt es in Exarchia nur eine einzige weitere Kirche.
Panellinion
„Lügen und Heuchelei halten nicht lange vor“ steht auf einem Zettel, der neben der Kasse dieses schmucklosen Kaffeehauses angepinnt ist. Obwohl zutiefst politisch, bezieht sich das Zitat aufs Schachspiel – die einzige Ideologie im Panellinion. Tavli bzw. Backgammon mag als Zeitvertreib sehr viel weiterverbreitet sein, aber Griechenland hat auch eine solide Schachtradition. Selbst wenn das nicht Ihr Spiel sein sollte ist das Panellinion der perfekte Ort, um die Originalatmosphäre eines Kafenion aufzusaugen. Alte Tische, alte Fotos und nur zwei Kaffeeoptionen – griechisch oder Frappé –, und ein Besitzer, der gerne auf die Schnelle ein Omelett oder einen Meze zaubert. Morgens ist es hier ruhiger, mit alten Stammkunden, die sich einem entspannten Spiel widmen; nachmittags weichen die grauen Haare Männerhaarknoten und Bärten, wenn sich die jüngere Kundschaft einfindet. Ungeachtet der doppelten Schachuhren auf den Tischen ist die Zeit hier dehnbar, das Panellinion schließt nicht, ehe die letzte Partie ausgespielt ist.
Parko Navarinou
Hausbesetzungen sind in Athen nichts Außergewöhnliches, aber ein Parkplatz? Für eine Gruppe von Anwohnern war der Bedarf an Grün wichtiger als neue Bauprojekte, und so besetzten sie 2009 diesen ehemaligen Parkplatz, als Pläne ruchbar wurden, ihn zu bebauen, und machten daraus den ersten selbstverwalteten Park der Stadt. Die von einem offenen Kollektiv verwaltete Fläche hat sich eher zu einer Art Nachbarschaftszentrum als zu einem reinen Park entwickelt und bietet nicht nur Schaukeln für Kinder, sondern auch Essen für Obdachlose, Filmabende und andere Events. Bemerkenswert ist aber vor allem das Grün: Die einst nackte Fläche ist dicht bewachsen – sogar mit Ölbäumen – und hat auch einen kommunalen Gemüsegarten. Sie können den Park kaum verfehlen: Halten Sie nach dem spektakulären Graffiti des italienischen Street-Art-Künstlers Blu Ausschau, das die Geschichte des Parks erzählt.