Postindustrielle Urbanität
Gazi erkundet man am besten im Dämmerlicht, denn der subtile Charme dieser Gegend verblasst unter der gleißenden Mittagssonne. Das Zwielicht am späten Nachmittag weckt die Wanderlust, die durch den Anblick der rostigen Bahnlinie auf der industriellen Seite der Ermou-Straße weiter angestachelt wird, und für einen Moment will man den Daumen heben und per Anhalter in einem der stadtauswärts rumpelnden Laster mitfahren. In diesem Dämmerlicht ist der antike Friedhof von Keramikos einer der schönsten Orte in Athen.
Genauso wie Gazi erwachen auch Keramikos und das Nachbarviertel Metaxourgio beim Einbruch der Dunkelheit zum Leben. Chinesische Billigläden und Bekleidungsgrossisten weichen hedonistischeren Anliegen – von Cocktails und Tanzen bis zum Erbe des Ortes als Rotlichtviertel. Das Werk des Künstlers Alekos Fassianos Der Mythos des Quartiers im U-Bahnhof Metaxourgio ist ein subtiler Hinweis auf die Wiedergeburt des Viertels. Alte Lagerhallen wurden zu Clubbing-Höhlen, gemütlichen Bars, Experimentalbühnen und Michelin-besternten Restaurants, die die Trends für den Rest der Stadt vorgeben.
Technopolis
Die Ziegelschlote des alten Athener Gaswerks qualmen schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr, aber sie prägen auch weiter das Leben in Gazi, so, wie die Schmiedeeisernen Gerüste der alten Gasometer die dortige Skyline beherrschen. Die Gasanstalt stellte Mitte der Achtzigerjahre den Betrieb ein, und es dauerte rund ein Jahrzehnt, bis sie als Kulturzentrum ein Comeback erlebte. Technopolis, wie die Anlage genannt wurde, ist ein Knotenpunkt für Events der Stadt Athen und private Kulturveranstaltungen, die Kultur und Innovation kombinieren – von Kunstausstellungen über Musikfestivals bis zu Food- und Tech-Messen. Außerdem hat dort der städtische Radiosender seinen Sitz, der viele dieser Events live überträgt. Auf dem Gelände befinden sich auch das Industriegasmuseum, ein Café und der einzige Skywalk der Stadt – ein postindustrieller Spielplatz mit einer Tunnelrutsche und Hängebrücken.
Griechisches Nationaltheater
Die antiken Dramatiker haben der griechischen Kultur die Liebe zum Theater und das Flair dafür eingeimpft. In Athen gibt es dutzende Schauspieltruppen und Bühnen, und das Flaggschiff ist das Griechische Nationaltheater mit seinem namhaften Ensemble und einer bedeutenden Schauspielschule. Im Sommer begibt sich das Nationaltheater auf Tournee und spielt unter anderem in antiken Stätten wie Epidauros. Genauso aufregend ist eine Vorstellung in seinem Stammhaus, einem beeindruckenden klassizistischen Bau des deutschen Architekten Ernst Ziller, der architektonisch an die Hadriansbibliothek angelehnt ist. Die Stränge, die das antike Drama mit dem modernen Theater verbinden, werden in seiner Architektur greifbar: Der Hauptsaal schwelgt im Samt und den Kristalllüstern der Belle Époque, die Nebenbühne hat bewegliche Sitzreihen und eine Skene (Kulisse), wie sie für antike Theater typisch war. Ein Gang zur Theaterkasse ist die perfekte Ausrede für eine Stippvisite, die oft auch Wechselausstellungen zu theaterrelevanten Themen einschließt.
Avdi-Platz
Der Avdi-Platz atmet mehr als jeder andere öffentliche Ort die vibrierende Atmosphäre von Athen. Es sind weniger der trendigen Cafés, Restaurants und Bars, die die Energie von Keramikos und Metaxourgio ausmachen. Es ist die Mischung aus Alt und Neu, Entspanntheit und Rastlosigkeit, der Mix von Aktivitäten – von Straßenpartys und Avantgardekunst bis zu sozialem Aktivismus und Skateboard-Pisten. Aus historischer Sicht fordert das Quartier mit seinem Comeback lediglich den ihm gebührenden Rang ein: Als im 19. Jahrhundert die moderne Hauptstadt Griechenlands geplant wurde, war hier einer der vorgesehenen Standorte für das Königliche Schloss. Relikte dieser Planungen findet man allenthalben: einen üppig dekorierten Marmorbrunnen, das Negreponte-Haus, im dem die erste britische Botschaft untergebracht war, aufwändige Herrenhäuser für die gehobenen Stände (von denen viele heute verfallen). Die Seidenspinnerei, die Metaxourgio seinen Namen gab (metaxi bedeutet auf Griechisch Seide), dient heute als neues Haus der Städtischen Pinakothek.
Demosion Sema
Der Tod fasziniert die Griechen seit langem, was sich in der Mythologie widerspiegelt. Die antiken Bestattungssitten sind im Kerameikos-Friedhof gut dokumentiert, aber bei Gelegenheitsgrabungen wurden auch Teile des Demosion Sema freigelegt, einer Nekropole aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., die als bedeutendster Begräbnisplatz im antiken Athen gilt. Hier wurden herausragende Bürger der Stadt und die Asche von im Krieg gefallenen Helden beigesetzt. Es war hier, wo Perikles seine berühmte Grabrede hielt. Das Demosion Sema erstreckte sich vom Haupttor der Stadt, dem Dipylon, bis zur Platonischen Akademie. Sie können einen kleinen Abschnitt entlang der Salaminos-Straße sehen, in dem gemeinsame Gräber von Gefallenen des Peloponnesischen Krieges gefunden wurden.
Griechische Kinemathek
1975 schloss das Kino „Lais“ mangels Publikum, und die 1.750 Quadratmeter Gebäudefläche wurden als Parkplatz und Lagerhalle genutzt. Als die Griechische Kinemathek kurz nach der Jahrhundertwende ein neues Heim suchte, fiel die Wahl wie selbstverständlich auf diesen Standort. Die Griechische Kinemathek ist das, was man in Athen am ehesten als Filminstitut bezeichnen würde. Sie verfügt über eine beeindruckende Sammlung mit mehr als 4.000 Kopien griechischer und fremdsprachiger Filme, zuzüglich tausenden Filmplakaten und Standfotos, Requisiten, Kostümen und Ausrüstung, die im gesamten Gebäude und im Filmmuseum ausgestellt sind. Das Ambiente passt perfekt zu den Vorführungen und Festivals des Jahresprogramms. Im Sommer finden sie im ursprünglichen Freilichtkino auf dem Dach des niedrigen Industriebaus statt.